Diana, die Mutter der britischen Prinzen William und Harry, starb vor 23 Jahren, aber ihr Leben elektrisiert viele bis heute. Wann immer ein unbekanntes Detail aus ihrer Vergangenheit auftaucht, räumen die Boulevardzeitungen die Titelseiten frei. Diesmal geht das Interesse allerdings weit über die Welt des Tratsch-Journalismus hinaus. Die „Königin der Herzen“ ist postum in der Sphäre des Politischen gelandet – und zur Figur im britischen Kulturkampf um die BBC geworden.
Im Mittelpunkt der Affäre steht das legendäre Interview, das sie im November 1995 dem damals relativ unbekannten BBC-Journalisten Martin Bashir gab. Für viele ist das Gespräch das „Interview des Jahrzehnts“ geblieben; es hielt die Nation wochenlang in Atem und galt als entscheidender Schritt zur Scheidung von Kronprinz Charles. Ohne Genehmigung des Königshauses gab sie Bashir damals freizügig Einblick in familiäre Interna. Diana berichtete über ihre Bulimie, ihre Depressionen und wie die Familie darauf reagierte. Vor allem aber bestätigte sie, was zu diesem Zeitpunkt das wohl am meisten verbreitete Geheimnis der Welt war, und sagte den berühmten Satz, dass sie in ihrer Ehe mit Charles „zu dritt“ lebe. Die Dritte im Bunde, Camilla Parker Bowles, nennt sich heute Herzogin von Cornwall und ist seit 15 Jahren Charles’ zweite Ehefrau.
Schon damals sah sich die BBC dem Vorwurf ausgesetzt, Diana mit unlauteren Mitteln in das Interview gelockt zu haben. Bashir hatte mit Hilfe eines bei der BBC beschäftigten Grafikdesigners Bankauszüge gefälscht, die Diana von der Niedertracht der Königsfamilie überzeugen sollten. Die „Dokumente“ schienen nachzuweisen, dass zwei ihrer Höflinge Geld dafür bekamen, dass sie Diana ausspionierten. Bashir hatte die falschen Bankauszüge, garniert mit weiteren mündlichen Lügen über das Gebaren der Windsors, Dianas Bruder Charles Spencer vorgelegt, der daraufhin einen Kontakt zu seiner Schwester herstellte.
Freispruch in eigener Sache
Die interne Untersuchung endete damals mit einem Freispruch in eigener Sache. Der Sender entschuldigte sich zwar für die Fälschung der Bankauszüge, berief sich aber auf ein entlastendes Schreiben Dianas. Darin habe sie bekundet, die Bankauszüge nie gesehen zu haben. Sie hätten „keine Rolle für ihre Entscheidung gespielt, an dem Interview teilzunehmen“, hieß es. Bashirs Karriere beim Sender tat die Affäre keinen Abbruch; sie profitierte vielmehr von dem Sensationsinterview. Zuletzt verantwortete er bei der BBC die Abteilung Religion.
Anfang des Monats nahm Dianas Bruder den 25. Jahrestag des Interviews zum Anlass, die Sache noch einmal aufzurollen. In einem Brief an den neuen Generaldirektor der BBC, Tim Davie, legte er ausführlich das Vorgehen Bashirs dar, erweitert um neue Details, und verlangte eine unabhängige Untersuchung. Die interne Aufklärung von 1996 bezeichnete er als „Reinwaschung“. Die BBC habe nicht die Wahrheit von ihm hören wollen, schrieb er und sprach von „schierer Unredlichkeit“.
Der Brief wurde der „Daily Mail“ zugespielt, die ihrerseits nicht immer mit sauberen Methoden arbeitet, aber im Kampf gegen die BBC in der ersten Reihe steht. Die öffentlich finanzierte Anstalt wird nicht nur von konservativen Zeitungen und den britischen Privatsendern misstrauisch beäugt, sondern geriet in den vergangenen Jahren vor allem aus den Reihen der regierenden Tories unter Beschuss. Der BBC wird vorgehalten, einseitig über den Brexit berichtet zu haben und die Lieblingspferdchen der linksliberalen städtischen Eliten zu reiten, statt sich an alle Gebührenzahler zu richten. Während sich manche Kritiker mit der Forderung nach mehr politischer Ausgewogenheit begnügen, verlangen andere das Ende der Gebührenpflicht. Dass ein BBC-Mann mit kriminellen Mitteln arbeitet und weiterbeschäftigt wird, ist peinlich genug.
Sollte die Untersuchung überdies zu dem Schluss kommen, dass die damalige BBC-Führung die Sache vertuscht oder sogar gebilligt hat, dürften die Kritiker ein weiteres Argument für die Entmachtung der „Krake“ BBC haben. Wie stark die Angelegenheit inzwischen politisiert ist, zeigt sich an der Überlegung des Kultur- und Medienausschusses im Unterhaus, seinerseits eine parlamentarische Untersuchung einzuleiten.
Davie, der – je nach Blickwinkel – die BBC nach rechts oder in die politische Mitte zu steuern versucht, reagierte auf Spencers Brief alarmiert und tatkräftig. Anfang der Woche benannte er einen angesehenen früheren Verfassungsrichter, Lord Dyson, zum Leiter der neuen Untersuchung. Die BBC sei „entschlossen, zur Wahrheit dieser Ereignisse vorzustoßen“, sagte Davie, was von Prinz William kühl als „Schritt in die richtige Richtung“ kommentiert wurde. Zuvor hatte der Sender schon erklärt, Dianas handschriftliche Notiz sei nun doch wieder aufgetaucht, nachdem sie zunächst nicht zu finden gewesen war. Als Beweisstück in der Untersuchung wird sie allerdings einstweilen der Öffentlichkeit vorenthalten.
Die Blicke richten sich nun auf Bashir, der sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert hat. Laut Zeitungsberichten hat der 57 Jahre alte Journalist sein Haus in London zum Verkauf angeboten, was Spekulationen über einen Umzug und ein vorzeitiges berufliches Ausscheiden nährte. Bashir ist seit Monaten krankgemeldet, unter anderem wegen langfristiger Folgen einer Corona-Infektion. Paparazzi fotografierten ihn allerdings am Mittwoch für die „Daily Mail“, als er sein Elektro-Auto auflud und dabei einen Kaffee mit seiner Frau trank. Er habe, so hieß es in der Zeitung, „fit und wohl“ ausgesehen.
Artikel von & Weiterlesen ( Lügen und andere Wahrheiten - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/2UN7Akk
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